Schutz Geistigen Eigentums oder der Verwertung durch das Urheberrecht nicht stereotyp fordern. Ein Appell an den Deutschen Kulturrat

Ein offener Brief an den Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann:

Lieber Herr Zimmermann,

ob wir uns gelegentlich einmal zusammensetzen können (ggfls. auch elektronisch), um uns auf ein konstruktiveres und den tatsächlichen Situationen angemesseneres Verständnis von Urheberrecht zu verständigen.

Ich beziehe mich auf die entsprechende Passage in ihrer Pressemitteilung “Koalitionsvertrag:  Zwischen Zukunftswillen und Mutlosigkeit” (25.10.09) (unten wiedergegeben).

Es kann doch wohl kaum, wie Sie fordern, um eine konsequentere Durchsetzung des Urheberrechts an sich gehen. Urheberrecht ist ja keine Naturkonstante, sondern etwas, was laufend im gesellschaftlichen Diskurs und hoffentlich Konsens bestimmt werden muss. Was soll also für den Kulturrat Urheberrecht sein? Doch wohl kaum das, was augenblicklich in Deutschland nach dem Zweiten Korb existiert? Ist dessen Ziel nicht in erster Linie das, was in der Verfassung der USA “promote the progress of science and useful arts” heißt?

Sollte nicht das Urheberrecht normativ verstanden werden, angepasst an gegenwärtige Ziele und nicht zuletzt auch angepasst an öffentliche Erwartungen an Kultur und Wissen in elektronischen Umgebungen, und nicht dogmatisch unter Fortschreibung bestehender Regulierungen, die unter heute nicht mehr geltenden Rahmenbedingungen entstanden sind?

Sicher ist es auch o.k., dass, wie Sie auch fordern, das Bewusstsein für geistiges Eigentum gestärkt werden soll. Aber auch “geistiges Eigentum” ist keine Naturkonstante. Ihnen ist sicher bewusst, dass der Gesetzgeber (auch nach verschiedenen BVerfG-Urteilen) an sich einen breiteren Spielraum zwischen der Eigentumsgarantie (Art 14, Abs. 1 GG) und der sozialen Bindung (”Eigentum verpflichtet” Art 14, Abs. 2 GG) hätte, als er ihn in den letzten Jahren durch die klare Präferenz für den Schutz der kommerziellen Verwertung von Kultur, insbesondere auch von Wissen und Information, wahrgenommen hat.

Gerade Ihnen dürfte doch klar sein, dass die stereotype Berufung auf das geistige Eigentum weniger im Interesse der Kreativen, schon gar nicht im Interesse ihrer materiellen Sicherung ist, sondern allzu gerne von der Verwertungswirtschaft aufgegriffen wird.  Haben Sie das gemeint, als Sie von dem Schutz der Verwertung geschrieben haben? Obgleich die Verwerterwirtschaft ja gar kein geistiges Eigentum im eigentlichen Sinne produziert, aber durch Verträge die Verwertungsrechte der Kreativen oft genug exklusiv als ihre Nutzungsrechte übernimmt.

Wäre es nicht viel besser, wenn der Kulturrat die Kreativen auffordern und dabei unterstützen würde, dass sie nach Modellen nicht zuletzt in den elektronischen Umgebungen suchen sollten, durch die sie die Erträge ihrer kreativen Leistung besser erwirtschaften können. Sie wissen selber, wie wenig  den Kreativen bei einer kommerziellen traditionellen Publikation an monetärem Gewinn zugestanden wird. Der jetzige Schutz der Verwertung ist für die Kreativen nicht nur obsolet, sondern auch denkbar ineffizient

Schließlich, aber nicht minder wichtig: Ob Sie für den Kulturrat nicht doch aufgreifen können, was Pierre Baruch et al. in Le Monde schon vor einigen Jahren als schlichte Wahrheit einmal formuliert hatten: “La science, c´est aussi de la culture” (13.1.2006). Wann positioniert sich der Kulturrat endlich auch für die Interessen von Bildung und Wissenschaft, auch mit Blick auf das Urheberrecht. Hier ist das, was Sie schreiben, nämlich, dass “der Schutz durch das Urheberrecht eine notwendige Voraussetzung für die Schaffung und Verwertung kreativer Leistungen” sei, natürlich in der abstrakten Allgemeinheit richtig. Aber Sie sollten dann doch sagen, welchen Schutz Sie meinen.

Schutz muss vor allem garantiert sein für das, was das Urheberrecht die Persönlichkeitsrechte nennt (Recht auf Nennung des Urhebers; Recht, entscheiden zu können, wann und wie veröffentlicht werden soll; und der Schutz vor Entstellung des Werks). Das reichte in Bildung und Wissenschaft im Prinzip völlig aus.

Die meisten Personen in Bildung und Wissenschaft werden für Ihre Tätigkeit ohnehin in öffentlicher Anstellung von uns allen, von der Öffentlichkeit, finanziert. Hat nicht ein Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin, der/die in erster Linie mit Blick auf einen kommerziellen Zugewinn Werke erstellt und öffentlich zugänglich macht, seinen/ihren Beruf verfehlt? Dass der Schutz der kommerziellen Verwertungsinteressen in der Wissenschaft Kreativität befördern soll, ist eine Mär, die nicht durch ständige Wiederholung richtiger wird. Sie mag vielleicht für den Kulturbereich der kommerziellen industriellen Verwertungsbelletristik zutreffen.

Sind Wissenschaftler nicht in erster Linie daran interessiert, wahrgenommen, aufgenommen und in ihren Ideen weiterentwickelt zu werden? Reputationsgewinne stehen im Vordergrund, nicht direkte Einnahmen: Dass Reputation dazu verhilft, die Karriere zu befördern und damit auch die materielle Situation zu verbessern, steht außer Frage. Sollten also nicht die kreativen Wissenschaftler besser vor der jetzigen kommerziellen Verwertung ihrer Werke geschützt werden, da sie, unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit, davon weniger Nutzen ziehen, als wenn ihre Werke der Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht würden und so ihre Reputation gesteigert würde?

Hat zudem nicht die Öffentlichkeit, wir als Steuerzahler, nicht ein Recht darauf, dass das Wissen, dessen Erstellung mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde, für alle frei zugänglich gemacht wird? Gilt das gleiche nicht auch für öffentlich geförderte Kulturgüter allgemein?

Wäre nicht die Forderung nach einer neuen Kultur des Teilens und der gemeinsamen Beförderung von Wissen und Kultur nicht auch dem Deutschen Kulturrat angemessener als auf den individuellen Interessen und auf Schutz von Verwertung und damit auf Verknappung zu beharren? Versuchen sie es doch einmal damit!

Sollte eine kommerzielle Verwertung dier Werke aus Kultur und Wissenschaft  nicht nur dann zusätzlich  erlaubt sein, wenn dadurch erhebliche Mehrwerteffekte für die Urheber und für uns alle erkennbar sind oder wenn die Öffentlichkeit dafür angemessen entschädigt wird und nicht, wie heute üblich, noch dafür bezahlen muss?

Sie haben das sicherlich nicht beabsichtigt – nehme ich jedenfalls an -, aber Ihr Appell nach Schutz durch das Urheberrecht wird eher die Wirkung   haben, den Schutz eines (an sich gar nicht vorgesehenen) Verwerterrechts zu stärken. Dem Kulturrat geht es bestimmt darum, Kultur zu schützen und zu befördern, nicht einer im gesamtgesellschaftlichen Geschehen und auch mit Blick auf die Gesamtwirtschaft doch eher kleinen Gruppe der kommerziellen Wissensverwerter Privilegien zuzubilligen, wie es die offizielle Politik seit längerer Zeit tut.

Sie haben enge Kontakte zur UNESCO und wissen und haben aktiv daran mitgewirkt, das die UNESCO den Erhalt und die Förderung der kulturellen Vielfalt als hohes Ziel der Völkergemeinschaft und als Gegenpol zu den kommerziellen Zielen der Welthandelsorganisation (WTO) erfolgreich durchgesetzt hat. Die UNESCO, insbesondere die Deutsche UNESCO Kommission, setzt sich auch mit bemerkenswertem publizistischen Erfolg (vgl. http://www.unesco.de/openaccess.html?&L=0) für Open Access ein. Auch das werden Sie mittragen. Open Access, nebenbei, bezieht sich nach der hier verbindlichen Berliner Erklärung nicht nur auf Wissenschaft, sondern auf Kultur insgesamt.

Wäre es nicht an der Zeit, dass sich der Kulturrat an der weltweiten Debatte um die Commons, um die Allgüter, wie ich das als deutschen Begriff vorschlagen möchte, konstruktiv beteiligte? Commons/Allgüter, dem wurde ja auch gerade durch die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaft an Elinor Ostrom Rechnung getragen und Anerkennung gezollt, sind keine res nullius, keine Güter, deren man sich beliebig auch der kommerziellen Verwertung bedienen darf, sondern res communes.

Res communes, commons – wie z.B. Luft und Wasser, aber auch Wissen und Kultur – gehören uns allen. Wir, nicht einzelne Urheber und schon gar nicht einzelne Verwerter, sollten durch das Recht geschützt werden, damit wir von diesen Commons/Allgütern freien Nutzen ziehen können. Wäre das nicht ein Appell des Kulturrates wert?

Dass gerade dann, wenn Wissen und Kultur frei zugänglich ist, auch die Wirtschaft davon profitieren kann, mag paradox klingen, gehört aber doch zu den Maximen und Wahrheiten der Informationsgesellschaft und -wirtschaft. Sollten wir uns nicht auch darüber verständigen, da dieses doppelte Ziel (freie Zugänglichkeit und nachhaltige Teilhabe an dem kommerziellen Nutzen) ja doch so offensichtlich im Interesse der Kreativen liegt?

Natürlich muss eine Pressemitteilung zu einem aktuellen Ereignis wie den Koalitionsvereinbarungen vereinfachen. Aber sollte eine Institution wie der Kulturrat, der sonst in seinen Texten reflektiert differenziert, vielleicht doch nicht mit Begriffen wie geistiges Eigentum, Urheberrecht, kreative Leistung oder Verwertung so einfach, stereotyp und abstrakt umgehen?

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Aus der Pressemitteilung des Kulturrates “Koalitionsvertrag: Zwischen Zukunftswillen und Mutlosigkeit. Besonders in der Urheberrechtspolitik sind von der neuen Bundesregierung deutliche Aktivitäten zu erwarten” -  Berlin, den 25.10.2009:

Dem Urheberrecht wird in der Koalitionsvereinbarung eine zentrale Schlüsselfunktion in der modernen Informationsgesellschaft zugewiesen. Gesetzlichen Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen wird eine klare Absage erteilt. Es sollen aber andere Instrumente zur besseren und konsequenten Durchsetzung des Urheberrechts entwickelt werden. Maßnahmen zur Stärkung des Bewusstseins für das geistige Eigentum sollen gefördert werden. Es wird unmissverständlich formuliert, dass der Schutz durch das Urheberrecht eine notwendige Voraussetzung für die Schaffung und Verwertung kreativer Leistungen ist.

Comments (9)

 

  1. In meinem Buch PiratK-UrhG http://www.contumax.de argumentiere ich dafür, dass eine Verschärfung des urheberrechts dem katstrophenrezept des “Mehr desselben” entspricht. Angesichts der vielen restriktiven Absurditäten, die im digitalen Zeitalter längst nicht mehr zeitgemäß sind, brauchen wir eher ein liberaleres Urheberrecht. Urheber müssen angemessen entlohnt werden, das kann aber durch restriktivere Vorschriften nicht erreicht werden.

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  9. johnix sagt:

    Im grossen und ganzen alles richtig, was da geschrieben steht. Aber eines will mir nicht gefallen.

    7 Absatz letzter Satz.
    Etwas das obsolet, also abwesend ist, kann nicht ineffizient sein, da abwesend.

    Das UrHG, stellt sich auch gegen die internationalen Normen in diesem Bereich; so gelten in Deutschland 75 Jahre, international, aber nur 50 Jahre Urheberrecht auf Musikstücke. Das Gesetz zeigt sich sehr Welt fremd. Eine Stelle aus der man geschütztes Gut, mit eigener Kunst vergleichen kann, gibt es nicht. Wer also ein zufällig, einem anderen Stück, ähnliches hervor brachte, kann dafür; eingesperrt werden, bis zu 5 Jahren.

    Meine Forderung; die Regierung, hat eine solche Stelle einzurichten.

    Wichtig wäre auch; das die Künstler sich ausserhalb der Verwertungsgesellschaften, in einem Verein, zusammenfinden, welcher die Verwertungsgesellschaften, kontrollieren kann.

    Heute kontrollieren, die Verwertungsgesellschaften, nämlich die Künstler.