Können gegen normative Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger Gesetze durchgesetzt werden?
Ob es eine Sternstunde für Bildung und Wissenschaft sein wird, muss sich noch zeigen. Aber die jetzt in den Bundestag von Lars Fischer eingebrachte Petition „Wissenschaft und Forschung – Kostenloser Erwerb wissenschaftlicher Publikationen“ hat einiges Potenzial dafür.
Warum? Was ist an dieser Petition neu? Argumentativ eigentlich wenig. Nicht zuletzt das Aktionsbündnis “Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft” (dessen Sprecher der Autor dieses Beitrags ist) hat zusammen mit vielen anderen Wissenschaftsorganisationen seit Jahren darauf hingewiesen, dass in unserem gegenwärtigen Publikationssystem etwas nicht stimmt, wenn der Zugriff auf das in öffentlichen Umgebungen und mit Steuermitteln erstellte Wissen überwiegend kostenpflichtig ist und wenn viele Bürgerinnen und Bürger von der Nutzung dadurch ausgeschlossen oder stark behindert werden.
Offenbar nutzen aber Argumente nur wenig, wenn massiv und finanzstark Lobbyinteressen, hier der Verlagswirtschaft, dagegen vorgebracht werden. Auch konstruktive Vorschläge des Bundesrats, die einen allgemeinen Einstieg in die Open-Access-Publikation erleichtert hätten (z.B. über eine Änderung von § 38 UrhG) und die auf gründlich durchdachten Vorschlägen aus der Wissenschaft basierten, wurden von der damaligen Bundesregierung zurückgewiesen und haben im Bundestag keinen Widerhall gefunden.
Hatte sich das Justizministerium der vorangegangenen Bundesregierung bis zuletzt geweigert, der weltweiten Tendenz zugunsten Open Access auch in der Gesetzgebung durch ein Zweitverwertungsrecht Rechnung zu tragen, so sollte das die neue Bundesregierung besser machen. Bildung und Wissenschaft, die Produzenten und Nutzer von Wissen und Information, wollen sich nicht länger mit völlig unzureichenden und eher sogar schädlichen Ausnahmeregelungen zufrieden geben.
Wir erinnern an die Grundeinsicht der Informationsethik, dass gegen die normativen Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger auf Dauer keine Gesetze durchgesetzt werden können.
Diese normativen Erwartungen fallen nicht vom Himmel und sind auch nicht quasi naturrechtlich stabil, sondern entwickeln sich in den Räumen, in den Umgebungen, in denen wir leben und agieren. Für Bildung und Wissenschaft, für Wissen und Information, sind das zunehmend die elektronischen Räumen.
Es ist offensichtlich, dass in diesen Räumen die gegenwärtigen Verknappungsstrategien kontraproduktiv sind und keine Akzeptanz mehr finden. Wissen bzw. die auf Wissen beruhenden Werke müssen frei zugänglich sein. Den Bürgerinnen und Bürger kann nicht einsichtig gemacht werden, dass sie keinen Anspruch darauf haben sollen, zumindest zu dem Wissen freien Zugang zu haben, dessen Produktion mit öffentlichen Mitteln, also von uns allen, finanziert wurde.
Es widerspricht einfachden normativen Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger, dass sie mehrfach für etwas bezahlen müssen, was im Grund ihnen allen gehört. Öffentlich produziertes Wissen muss als Grundregel allen gehören und allen frei nutzbar sein. Daher ist diese Petition wichtig. Hier wird quasi aus der Basis heraus reklamiert, dass die Bürgerinnen und Bürger sich nicht länger vorschreiben lassen wollen, wie mit Wissen und Information aus öffentlichen Umgebungen umgegangen werden soll.
Vermutlich haben die meisten Bürgerinnen und Bürger sogar keine Einwände auch gegen eine kommerzielle Verwertung von Wissen, wenn diese nur fair organisiert wird. Das war auch lange Zeit der Fall, vor allem dadurch, dass die Informationsversorgung durch die Bibliotheken für alle gesichert war. Das ist aber seit langem nicht mehr gewährleistet.
Brauchen wir einen Paradigmenwechsel? Sollte nicht die kommerzielle Verwertung von Wissen nur die jeweils zu rechtfertigende Ausnahme sein, zu rechtfertigen vielleicht durch erhebliche Mehrwertwertleistungen und nur, wenn auch bei einer solche Verwertung der Zugriff auf die Werke selber frei bleibt.
Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich schwer tun, selber auf die „Barrikaden“ zu gehen, so sind vielleicht die Bürgerinnen und Bürger weniger zimperlich. Kann diese Petition ein erster wichtiger Schritt für eine breite Bürgerbewegung zugunsten eines freien Zugangs zum Commons/Gemein „Wissen” werden?
Comments (3)
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Bildung sollte in einer Demokratie für alle zugänglich sein!
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