Kultur – kein Schlaraffenland, aber offen und frei

Auf dem “First Forum on Free culture and access to knowledge: Organization and action”, das in Barcelona vom 20. Oktober bis zum 1. November mit Teilnehmern aus 20 Ländern durchgeführt wurde, wurde die “Charter for Innovation, Creativity and Access to Knowledge. Citizens’ and artists’ human rights in the digital age” verabschiedet. Dazu gibt es auch eine Langversion.

Die Kultur ist dabei, sich von der Umklammerung der Verwertungs- und Copyright-Industrien zu lösen. Die digitale Technologie und die durch das Internet gegebenen und sich ständig weiter entwickelnden Kommunikationsformen  haben es möglich gemacht – und das ist der Ausgangspunkt der Charter –,  dass neue partizipative und teilende Formen von Kultur entstehen:

„Citizens, artists and consumers are no longer powerless and isolated in the face of the content-providing industries: now individuals across many different spheres collaborate, participate and decide. Digital technology has bridged the gap, allowing ideas and knowledge to flow. It has done away with many of the geographic and technological barriers to sharing. It has provided new educational tools and stimulated new possibilities for forms of social, economic and political organisation. This revolution is comparable to the far reaching changes brought about as a result of the printing press.”

So wie Software-Entwicklung nicht mehr ohne den Anspruch “free and open” zu denken ist, so wie das Publikationsgeschehen in der Wissenschaft sich unaufhaltsam in Richtung Open Access entwickelt (was den Industrien nur noch Raum lässt, wenn sie das Open-Access-Prinzip des freien Zugangs und der freien Nutzung von Wissen zu ihrer Geschäftsgrundlage machen), so deuten alle Zeichen darauf hin, dass immer mehr Menschen – die Charter zählt auf:

“citizens, users, consumers, organizations, artists, hackers, members
of the free culture movement, economists, lawyers, teachers, students,
researchers, scientists, activists, workers, unemployed, entrepreneurs,
creators,…”

sich darauf besinnen und das auch reklamieren, dass Kulturobjekte das gemeinsame menschliche Erbe ausmachen.

Was oft übersehen wird – auch schon die Berliner Open Access Erklärung von 2003 hatte “scientific knowledge and cultural heritage” zusammen gesehen. Die gemeinsame Klammer für Wissens- und Kulturobjekte ist das, was im Englischen treffend Commons genannt wird – was im Deutschen, neben Begriffen wie Allmende, überwiegend (wenn auch nicht ganz zufriedenstellend) mit “Gemeingüter” wiedergegeben wird.

Kulturobjekte sind besondere Gemeingüter. Anders als die natürlichen Gemeingüter (Luft, Wasser, die Rohstoffe, die Fische ….) sind sie nicht von der Natur gegeben, sondern von Menschen geschaffen und entwickelt, immer im Rückgriff auf die schon geschaffene Kultur.

Kulturobjekte jeder medialen Art (wir vermeiden den Ausdruck “Kulturgüter”), einmal in die Welt gesetzt, sind das gemeinsame Eigentum aller. Dem trägt z.B. auch die in Mexiko 1982 verabschiedete Bestimmung von Kultur durch die UNESCO Rechnung:

“Culture… is … the whole complex of distinctive spiritual, material, intellectual and emotional features that characterize a society or social group. It includes not only arts and letters, but also modes of life, the fundamental rights of the human being, value systems, traditions and beliefs.”

Wer wollte bezweifeln, dass diese Kultur nicht privat angeeignet werden kann, sondern allen gehört. Wem gehören die Menschenrechte? Wem die Sprache? Wem Regierungsformen? Wem das Gesetz? Aber die Charter bleibt nicht bei diesem weiten (und damit eher unverbindlichen) Verständnis von Kultur stehen, sondern bezieht in den Anspruch der freien Kultur auch explizit die kulturellen Objekte mit ein – die Bilder, die Musikstücke, die Filme, die Skulpturen, die  Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, die Romane und Gedichte, … –, für die kreative Personen oder Gruppen direkt ausgemacht werden können.

Kultur muss freie Kultur sein, wobei die Charter das aufgreift, was schon für freie Software gilt: free as in „freedom“, not as „for free“. Freie Kultur schließt daher keineswegs aus, dass Kreative, die Kulturobjekte geschaffen haben, Rechte an ihnen haben und zwar nicht nur persönliche Anerkennungsrechte, sondern durchaus auch Anspruch auf eine Vergütung für ihre Leistung. Freie Kultur bedeutet zunächst einmal die Freiheit von der Genehmigung, sie zu nutzen, nicht zwangsläufig die Befreiung von dem Recht auf Vergütung. Dieser Vergütungsanspruch darf aber nicht durch solche Verwertungsformen durchgesetzt werden, die den Zugriff auf die Kulturobjekte unbillig verknappt oder gar unmöglich machen.

Das scheinen zunächst nur Forderungen zu sein. Es kommt darauf an, Organisationsmodelle zu entwickeln, die dieses Postulat der freien Kultur umsetzen können. Dass dies möglich ist, ist sogar in die öffentliche Diskussion dadurch gekommen, dass der Nobelpreis für Wirtschaft in diesem Jahr an Elinor Ostrom (zusammen mit Oliver Williamson) verliehen wurde.  Ostrom konnte durch zahlreiche weltweit durchgeführte Feldstudien nachweisen, dass Gemeingüter am besten bewahrt und befördert werden, wenn Institutionalisierungsformen von den Betroffenen selber im Konsens (allerdings durchaus auch mit Sanktionen bei Verstoß gegen die vereinbarten Regeln) entwickelt werden.

Nicht zuletzt in dem Buch von Peter Barnes (Capitalism 3.0) sind zudem konkrete Vorschläge enthalten, wie von den betroffenen Menschen neue Modelle für den Umgang mit den Gemeingütern, nicht gegen, aber unabhängig von Staat und Markt entwickelt werden können (vgl. auch den Sammelband „Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter, hrsg. von Silke Helfrich und der Heinrich-Böll-Stiftung 2009).

Dieses „jenseits von Staat und Markt“ greift die Charter auf:

„The philosophy of Free Culture … is the empirical proof that a new kind of ethics and a new way of doing business are possible. It has already created a new and workable form of production, based on crafts or trades, where the author-producer doesn’t lose control of the production process and doesn’t need the mediation of big monopolies. This form of production is based on autonomous initiative in solidarity with others, on exchange according to each person’s abilities and opportunities, on the democratisation of knowledge, education and the means of production and on a fair distribution of earnings according to the work carried out.”

Die Charter erklärt Kultur keineswegs zum Freibier. Dem Anspruch der Kreativen auf Vergütung (sofern sie nicht ohnehin wie in der Wissenschaft schon durch ihr Gehalt honoriert werden) wird durch konkrete Modelle Rechnung getragen:

„Community-driven social economy models are already providing a number of increasingly viable options for sustaining cultural production. These include: non-monetary donations and exchange (I.e. gift, time banking and barter); Direct financing (I.e.: Subscriptions and donations); Shared capital (I.e.: Matching Funds, Cooperatives of producers, interfinancing / social economy, P2P Banking, Coining virtual Money, Crowd funding, Open Capital, Community based investment cooperatives and Consumer Coops); Foundations guaranteeing infrastructure for the projects; Public funding (I.e.: basic incomes, grants, awards, subsidies, public contracts and commissions); Private funding (I.e.: venture investment, shares, private patronage, business investment infrastructure pools); commercial activities (including goods and services) and combination of P2P distribution and low cost streaming. The combination of these options are increasingly viability both for independent creators and the industry.

We do not support the way that commercial enterprises use volunteer labour as a strategy for making profits from collectively and voluntarily generated value. We also believe that conglomerates should not be allowed to dominate a substantial part of any section of the market.“

Die Charter endet mit einem umfassenden Forderungskatalog, nicht zuletzt gerichtet auch an die Gesetzgebungsinstanzen. Einige Beispiele:

  • The expansion of the public domain and contraction of the copyright term (less then 50 years).
  • Publicly funded research, and intellectual and cultural work should be made available freely to the general public.
  • Citizens are entitled to an Internet connection that is free of any kind of discrimination – whether blocking, limiting or prioritizing – with regard to type of application, service or content or based on sender or receiver address.
  • the right to access and use copyrighted works without the rights holders permission for
  • the purpose of education, teaching, scientific research, information, satirical or incidental to the principal creative objective, as long there is attribution and all moral rights are respected.
  • No collecting society should be allowed to create monopoly or to prevent artists or authors from using free licenses.

Es wird derzeit an vielen Orten der Welt an solchen Deklarationen zu den Commons, den Gemeingütern, gearbeitet. In die öffentliche Diskussion ist angekommen, dass es mit der privaten Aneignung der natürlichen Gemeingüter nicht so weiter gehen kann wie in den letzten 200 Jahren, wo die industrielle Expansion mit den Gewinnansprüchen des Marktsystems die Erde in Umweltkatastrophen geführt hat. Die Welt beginnt sich darum zu kümmern, auch wenn die staatlichen Vereinbarungen noch immer durch Zögern bestimmt sind und weiterhin Wachstum gegenüber Nachhaltigkeit zum primären Steuerungsziel erklärt wird.

Charten wie die jetzige von Barcelona machen deutlich, dass die Sorge um die immateriellen Commons genauso wichtig ist. Können Menschen ohne intakte natürliche Ressourcen nicht leben, so können Menschen ohne Zugriff auf und Nutzen der kulturellen Objekte, einschließlich der Wissensobjekte, sich nicht entwickeln und nicht teilhaben am öffentlichen Leben. Entsprechend den Normen einer Umweltethik  (z.B. Nachhaltigkeit und intergenerationelle Gerechtigkeit), müssen neue Normen und Verhaltensformen für eine freie Kultur (in dem weitest möglichen Sinn) entwickelt werden.

Noch einmal: Freie Kultur bedeutet kein Schlaraffenland. Wie freie Software gezeigt hat und wie es sich bei Open Access andeutet – freie Kultur schließt ökonomisches Handeln nicht aus, wenn anerkannt ist, dass Kultur nicht exklusiv als privater Verwertungsgegenstand reklamiert  werden kann.