Hohe Erwartungen an die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

Was immer auch den Deutschen Bundestag am 3.3.2010 zur Einsetzung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ bewogen hat (Taktik, wirkliche Besorgnis?) – für alle in Deutschland ist es eine große Chance, an der politischen Gestaltung der elektronischen Räume des Internet direkt oder in der Öffentlichkeit mitzuwirken.

Sind es doch die Räume, hier die elektronischen Räume, in denen sich unser normatives Verhalten, unsere Normen und moralische Präferenzen entwickeln, die letztlich auch von den formaleren Regulierungsformen des Marktes und des Staates (über Gesetze) nicht außer acht gelassen werden können.

Der Kommission werden 17 Personen des Bundestags sowie 17 von den Parteien entsandte Experten angehören. Diesen wird sinnvollerweise nicht etwa der Auftrag gegeben, wie sich die Menschen im Internet zu verhalten haben (also kein normativer Auftrag), sondern: “Dem Staat kommt die Aufgabe zu, das Internet als freiheitliches Medium zu schützen.”

Dazu gehört zentral die Entwicklung von Informationskompetenz (im Text auch als Medienkompetenz angesprochen – schön wäre es gewesen, wenn auch von Kommunikationskompetenz die Rede gewesen wäre):

“Die  Menschen benötigen heute neue Kenntnisse und Fähigkeiten. Dazu zählen beispielsweise die Auswahl, die Einordnung und die Bewertung der nahezu unbegrenzt  zur Verfügung stehenden Informationen“.  Das ist ja ein genuin informationswissenschaftliches Programm!

Es ist in der Tat an der Zeit, die früher erhobenen Forderungen nach dem
Informatik-Führerschein durch den Informations- und  Kommunikationsführerschein wenn nicht zu ersetzen, so doch zu ergänzen.

Daher wird es auch sicher darauf ankommen, das Konzept der im Text erwähnten informationellen Selbstbestimmung auch dahingehend zu erweitern, dass jedermann seine privaten, öffentlichen, sozialen und kommerziellen “Geschäfte” informationell abgesichert betreiben kann. Informationelle Selbstbestimmung sollte nicht nur ein defensives Konzept  von Privatheit sein (”right to be let alone”), sondern auch das aktive Recht, sich informationell kompetent und abgesichert einzumischen.

Toll der Satz in dem Einsetzungstext: “Für die Bürgerinnen und Bürger, für Wirtschaft und Wissenschaft ist ein freier, ungehinderter Zugang zum Internet von großer Bedeutung  und entscheidet mit über den Wohlstand unserer Gesellschaft”. Sollte das etwa auch eine Regulierungsvorgabe für den späteren Satz sein:  “Das Verständnis für die Bedeutung des Urheberrechts zu fördern und geistiges Eigentum zu achten, ist zugleich eine gesellschaftspolitische Aufgabe”?

Der Auftrag für die Kommission ist sehr breit, aber doch notwendig breit formuliert: Sicherung von Medien- und Meinungsfreiheit; Medienkompetenz; Konsequenzen der Digitalisierung für alle Formen der Öffentlichmachung von  Wissen und Information (einschließlich der Formen der Kreation und Distribution von kreativen Inhalten);  Sicherung des kulturellen Erbes; sogar Open-Access-Initiativen zum freien Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung sind explizit erwähnt sowie Open-Data-Strategien für einen freien Zugang zu staatlichen Informationen (also hin zu einer Erweiterung der Public Domain),…

Letztlich wird es der Kommission darum gehen, Fragen wie die folgenden zu beantworten: Wem gehört Wissen? Wie kann der Zugriff zu den Informationsressourcen des Internet für alle gesichert werden? Welche Rolle kommt dem Staat zu,  die neuen Verhaltens- und Nutzungsformen im Internet verträglich mit unserem demokratischen Rechtssystem und den normativen Ewartungen der Bürgerinnen und Bürger vorsichtig zu steuern bzw. zu regulieren und dabei Entwicklungspotenziale des Internet nicht zu stark einzuschränken. Es sind ja, wie erwähnt, die Verhaltensformen in den elektronischen Räumen, die die Entwicklung vorantreiben, nicht die Vorgaben von ökonomischen und politischen Regulierungsinstanzen – auch wenn diese dann die für eine Weile verbindlichen Pflöcke einschlagen.

Also hohe Erwartungen. Alles wird davon abhängen – aber da ist ja das Schicksal aller solcher Kommissionen -,  wieviel Freiraum der Enquete-Kommission gewährt wird und wie konsequent dann die Regierung die Empfehlungen umsetzen will bzw. kann. Gut zwei Jahre ist jetzt Zeit, sich einzumischen.

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  1. [...] Kuhlen auf netethics über den Arbeitsauftrag an die Enquetekomission “Internet und [...]

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  3. [...] netethics.net  formuliert Rainer Kuhlen, Sprecher des Aktionsbündnisses “Urheberrecht für Bildung und [...]