Gibt es doch tatsächlich Anstöße und bedenkenswert Anstößiges aus der Politik in Sachen Urheberrecht!
Nimmt doch, welch Mirakel, ein Politiker den Zeitgeist auf – sowohl die wissenschaftliche Diskussion um eine grundlegende Reform des Urheberrechts als auch die Frustration vieler Menschen ob restriktiver Geschäftsmodelle der Informationswirtschaft für Information in elektronischen Umgebungen, unterstützt durch ebenso restriktive Rechtsnormen.
Gemeint ist der Hamburger Justizsenator Till Steffen. Er hat ein Positionspapier mit dem programmatischen Titel „Nutzerorientierte Ausrichtung des Urheberrechts“ vorgelegt – von dort auch der Download des Textes möglich.
Lange Zeit sah es so aus, als ob alle im Bundestag vertretenen Parteien eher unwillig wären, Bewegung in das stark verkrustete Urheberrecht zu bringen. Sitzt bei den Experten im Bundestag der Frust über die zäh langen und kontrovers geführten Auseinandersetzungen im Zweiten Korb noch tief, zumal das dann erzielte Ergebnis von so gut wie allen Akteursgruppen heftig kritisiert wurde? Der damalige Bundestag wollte bei der Verabschiedung dieses Korbs die Notwendigkeit eines Dritten Korbs überprüfen lassen! Zu offensichtlich war selbst den meisten Politikern, dass vor allem die verschiedenen, Bildung und Wissenschaft an sich begünstigenden Schrankenregelungen so eingeschränkt restriktiv und gänzlich an der Praxis und den Bedürfnissen vorbei formuliert wurden, dass sie eher behindernd als ermöglichend wirkten. Wird es aber etwas mit dem Dritten Korb?
Die Mühlen der Politik mahlen langsam. Schwer einzuschätzen, ob von Seiten des Bundesministeriums für Justiz eine Initiative ausgehen wird, sich nun des Dritten Korbs mit Energie anzunehmen. Vielleicht braucht es der Provokation durch Anstöße wie von Till Steffen, die im Vergleich zur offiziellen Bundespolitik, als hochpolitisch revolutionär bezeichnet werden können..
Vielleicht kommt nun doch Bewegung in die Urheberrechtspolitik– zwar erst aus einem kleinen Bundesland und auch von einer Partei, die derzeit nicht in der Regierung ist. Steffen setzt auf den Bundesrat. Schon seit längerem war zu erkennen, dass von den Ländern, aus dem Bundesrat, fortschrittlichere (oder auch realistischere) Vorschläge für das Urheberrecht gekommen sind, z.B. zur Verbesserung der Rechtslage zugunsten des Open-Access-Publizierens. Kein Wunder, sind doch die Länder über ihre Kultur-, Wissenschafts- oder Schulministerien durch viele der durch das Urheberrecht verursachten Probleme betroffen und durch neu entstandene Kosten stark belastet.
Steffen bzw. seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den Zeitgeist der juristischen Debatte aufgenommen. Die Überschrift des Diskussionspapiers „Nutzerorientierte Ausrichtung des Urheberrechts“ widerspiegelt die grundlegende Forderung der Dissertation von Gerd Hansen, der ja auch schon dem Bundesrat Verbesserungsvorschläge im Rahmen des Zweiten Korbs gemacht hatte und jetzt auch dieses Diskussionspapier beeinflusst hat. Für Hansen wird das Urheberrecht nur dann akzeptabel bleiben, wenn es den Nutzerschutz stärker berücksichtigt.
Es ist klar erkennbar, dass nicht nur von Seiten der gestandenen Rechtsprofessoren wie Reto Hilty oder Thomas Hoeren deutlich Kritik an der seit gut 25 Jahren vollzogenen Umwandlung des Urheberrechts in ein Handelsrecht und am Festhalten an alten Zöpfen aus der analogen Welt geübt wird. Nicht gerade eine Flut, aber doch bemerkenswert viele urheberrechtliche Dissertation entstehen (Hansen, Kreutzer, Bajon, Hirschfelder, …), die informiert und undogmatisch auf dem Stand der ökonomischen und technischen Diskussion sind und die die jetzigen Imbalancen des Urheberrechts kritisieren. Ganz zu schweigen von den anhaltenden Reformdebatten in der WIPO oder sogar der internationalen Diskussion um die Gemeingüter, in der u.a. scharf die individuelle Fixierung des Eigentumsverständnisses kritisiert wird (auch am immateriellen Eigentum, das ja Gegenstand des Urheberrechts ist).
Steffen hat einiges von dem neuen Zeitgeist aufgenommen:
„Das Urheberrecht, so wie es jetzt aussieht, passt nicht mehr zu den technischen Möglichkeiten elektronischen Umgebungen und der darin entwickelten Nutzungsgewohnheiten. … Das individualistische Begründungsmodell des Urheberrechts ist überholt. … Viele sehen die Gefahr, dass allzu eng gefasste Schrankenbestimmungen Kreativität und Innovation hemmen. … Im Internet entstehen kreative Nutzergewohnheiten und Formate, die es schwierig machen, auch bei unterstelltem guten Willen fremde Urheberrechte zu beachten. … In der bisherigen Entwicklung des Urheberrechts sind diese mit der digitalen Entwicklung neu entstandenen Nutzungserwartungen weitgehend unberücksichtigt geblieben. Stattdessen herrschte die Tendenz vor, Mechanismen zum Schutz des Urhebers und der Inhaber der so genannten verwandten Schutzrechte weiter auszubauen. … Urheberrechtsschranken haben mit der kontinuierlichen Erweiterung der Verbotsrechte nicht mitgehalten. … So wie das Urheberrecht als Eigentum im Sinne der Verfassung besonderem Schutz unterliegt, ist umgekehrt zu beachten, dass auch an der Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks verfassungsrechtlich verankerte Interessen der Nutzer und der Allgemeinheit bestehen können. In diesem Sinn sind Schranken des Urheberrechts nicht „Ausnahmen“ im Sinne einer Rücknahme des urheberrechtlichen Schutzes, sondern Bestimmungen, die von vornherein Inhalt und immanente Grenzen des Urheberrechts festlegen…. Die Rechtspolitik ist aufgerufen, den „Schrankenbegünstigten“ eine Rechtsposition zu verschaffen, die der Grundrechtsrelevanz der Schranken Rechnung trägt und die dem Recht des Urhebers ein Recht auf Nutzung an die Seite stellt“.
Am weitestgehenden sind allerdings die Vorschläge in den §§ 1 und 11 des Urheberrechts. Für Juristen war es bislang vollkommen selbstverständlich, dass das Urheberrecht das Recht der Urheber sei. Punkt! Faktisch ist es natürlich längst das Recht der (kommerziellen) Verwerter geworden, denen es erlaubt war, die den Urhebern an sich zustehenden Verwertungsrechte gänzlich per Vertrag zu übernehmen, so dass nun auch die Informationswirtschaft durch das Urheberrecht geschützt wurde.
Steffen will den Titel von § 1 „Allgemeines“ durch „Zweck des Gesetzes“ ersetzen. Da kommt ein bislang im deutschen Urheberrecht eher unterdrücktes utilitaristisches Moment ins Spiel. Im Text soll es dann heißen: „Die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst sowie Werknutzende genießen für ihre Werke Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes.“ („für ihre Werke“ soll gestrichen sein!!). Der bisherigen Formulierung von § 11 UrhG, durch den bislang nur der Urheber und dessen Recht auf Vergütung geschützt wird, soll der Satz angehängt werden: „Zugleich trägt es den Bedürfnissen der Werknutzenden an der Teilnahme am kulturellen und geistigen Leben Rechnung.“
Entsprechend sollte dann auch gleich der gesamte Name des Gesetzes geändert werden und zwar in: „„Gesetz über Urheberrechte, verwandte Schutzrechte und Nutzungsfreiheiten (UrhG)“.
Es bleibt aber keineswegs bei den grundsätzlichen Änderungsvorschlägen. Steffen will Schrankenregelungen auf allen Ebenen wieder zugunsten der Nutzungspraxis bestimmen und auch das Primat gegenüber technischen Schutzmaßnahmen (Digital Rights Management – DRM) im Gesetz festschreiben. Hier müssen also die 95er Paragraphen des UrhRs angepasst werden. Schranken müssen durchsetzbar sein. Einem derzeit von Seiten der Verlage geforderten speziellen Leistungsschutzrecht steht Steffen skeptisch gegenüber, wenn dieses lediglich auf ein unverändert starres und die Verwerter ohnehin begünstigendes Urheberrecht draufgesattelt wird.
Flexibel soll sich der Gesetzgeber bezüglich der Fristen des Schutzes zeigen. Die undifferenziert festgeschriebene Maximalzeit (70 Jahre nach Tode des Urhebers) ist für die meisten Werktypen eher unangemessen und – wie Simulationsrechnungen der Wirtschaftswissenschaften ergeben haben – volkswirtschaftliche unsinnig (kürzere Fristen als 5 Jahre, aber vor allem längere als 20 Jahre sind für die meisten Fälle kontraproduktiv). Andere Flexibilitäten sind sicherlich bezüglich der Gegenstandsbereiche angebracht. Regelungen für Bildung und Wissenschaft müssen nicht identisch mit denen für die allgemeinen Publikumsmärkte oder für die Medien sein. Vergütungen für Urheberrechtsleistungen sind auch für Steffen weiter unverzichtbar. Wie auch die Partei der Grünen insgesamt scheint Steffen in Richtung der Kulturflatrate zu denken.
Erkennbar, dass die Erwartungen auf den Publikumsmärkten auch für Steffen im Vordergrund stehen. Hier kann ein Politiker besser punkten. Bildung und Wissenschaft bzw. die Konsequenzen der eingeschränkten oder freien Nutzung wissenschaftlicher Information auch für die Wirtschaft stehen nicht im Zentrum der Überlegungen von Steffen. Aber die grundlegenden Reformvorschläge lassen sich leicht verallgemeinern und übertragen. Von Steffen ist auch hier Offenheit zu erwarten.
Man kann und muss aber weiterhin skeptisch sein, wie weit ein politischer Wille vorhanden ist, das Urheberrecht grundsätzlich an die Rahmenbedingungen der elektronischen Umgebungen anzupassen bzw. ob die Kraft besteht, sich den überzogenen Ansinnen der kommerziellen Informationswirtschaft im Interesse der Allgemeinheit entgegen zu stemmen. Oder noch allgemeiner: Ob Wille und Kraft besteht, den Absatz 2 von Art. 14 des Grundgesetzes, der gegenüber dem selbstverständlichen Schutz des Eigentums auch dessen soziale Bindung („Eigentum verpflichtet“) fordert, auch bei der Urheberrechtsregulierung zur Maxime des Handels zu machen.
Ohnehin sind dem deutschen Gesetzgeber weiterhin stark die Hände gebunden, solange es auf der EU-Ebene keinen Ersatz für die immer noch verbindlich geltende, obgleich kaum noch als zeitgemäß anzusehende Richtlinie aus dem Jahr 2001 gibt. Urheberrechtvorgaben aus der EU werden allerdings wohl kaum ohne den Beitrag aus Deutschland beschlossen. Bestellen wir, zumindest konzeptionell, erst einmal den eigenen Garten.
Aufwind erhalten sollten aber die zivilgesellschaftlichen Akteure und Gruppen durch Vorschläge wie die von Till Steffen. Es sollte was möglich sein. Die Unwilligkeit der offiziellen Politik, Erkenntnisse aus der Wissenschaft aufzunehmen geschweige denn den Nutzungsgewohnheiten und –erwartungen der meisten Menschen in den elektronischen Räumen Rechnung zu tragen, muss nicht hingenommen werden. Und so wichtig es auch sein mag, es reicht nicht aus, sich auf das kleinteilige Geschäft der marginalen Verbesserung der bestehenden Schrankenregelungen einzulassen.
Wenn ein Jurist und Justizsenator sich daran macht, den gesamten Titel des Urheberrechts und bislang für unumstößlich gehaltene Paragraphen des Urheberrechts verändern zu wollen, dann sollten sich die zivilgesellschaftlichen Akteure und Gruppen ermutigt fühlen, ihre Zurückhaltung aufzugeben, radikal zu denken und auch die heiligen Kühe des Urheberrechts wenn nicht zu schlachten, so doch anders mit Futter zu versehen
wie den die kommerzielle Verwertung begünstigenden Dreistufentest; das Recht der vollständigen Übertragung von Rechten an kommerzielle Verwerter, die mit der Urheberschaft gar nichts zu tun gehabt haben; die exklusive Verfügung der Urheber über ihre Werke; die langen unflexiblen Schutzfristen; die Dominanz der technischen Schutzmaßnahmen gegenüber den Schranken, …
Und grundsätzlichere Forderungen zu stellen, wie:
mit öffentlichen Geldern unterstützt produziertes Wissen muss frei zugänglich sein; Rechte an produziertem neuen Wissen und neuer Information sind nicht exklusiv und unbeschränkt – Eigentum verpflichtet auch und gerade in elektronischen Umgebungen; für gesamtgesellschaftlich wichtige Bereiche wie Bildung und Wissenschaft muss ein allgemeines Nutzungsprivileg festgeschrieben werden; kommerzielle Verwertungen sind nur so weit schützenswert, wie wirkliche informationelle Mehrwerte geschaffen werden und sind nur erlaubt, wenn noch genug an freier Nutzung übrig bleibt; rechtlich gesicherte Schrankenbestimmungen dürfen nicht durch technische Maßnahmen (DRM) oder durch privatwirtschaftlich Verträge ausgehebelt werden, …
Für all das muss auch, wenn auch nicht alleine das Urheberrecht Sorge tragen. Schreiben müssen die Juristen die Paragraphen. Aber der Druck dazu muss von den Menschen kommen und aus den Gruppen, in denen sie sich organisieren. Nur hier entwickelt sich das normative Verständnis für den Umgang mit Wissen und Information, gegen das auf Dauer keine politischen Regulierungsinstanzen Gesetze erlassen können. Aber hilfreich kann es schon sein, wenn auch mal Anstöße (und durchaus Anstößiges) aus der Politik selber kommen.