Doch nur ein Fall, kein „Fall“ – Moral und Werte auf dem Prüfstand

Darüber zu klagen, dass Guttenberg in wenigen Tagen die Kurve hinbekommen hat von „abstrus“, über „kein Plagiat“, über den vorläufigen Verzicht des Titels („ich betone vorübergehend“ ), über die “gravierenden Fehler” und den „Blödsinn, den ich geschrieben habe“ bis hin zu dem dauerhaften Verzicht auf den Doktortitel und dass dies von breiten Teilen der Öffentlichkeit und von der politischen Klasse in der CDU/CSU als souveräner Befreiungsschlag gefeiert wird, ist einem informationsethischen Blog unangemessen. Man kann höchstens nur bedauern, dass Barschel sich damals nicht entschuldigt, sondern gleich umgebracht hat, als die Lage aussichtlos wurde. Sonst wäre er heute vielleicht sogar CDU-Bundeskanzler. Aber das alles ist hier nicht weiter interessierende politische Tristesse, auch wenn angemerkt werden sollte, dass es nicht um „Fehler“ und geschriebenen Blödsinn geht (was ja dann auch die Betreuer der Arbeit hätten erkennen müssen, sondern um klare Rechtsverstöße). Konsequenzen wird das alles aus informationsethischer Sicht schon haben.

Es geht in der Informationsethik um die Analyse des Umgangs mit Wissen und Information, allgemein, aber bevorzugt in elektronischen Umgebungen. Welche (neue) moralische Verhaltensformen, welche Modifikationen im Wertesystem entwickeln sich da, nicht zuletzt durch die durchgängige Verfügbarkeit aller Wissensobjekte im Internet?

(1) Da wird man zunächst feststellen können, dass der politisch immer geforderte Schutz der Kreativen vor unberechtigter Verwendung oder sogar Aneignung ihrer produzierten und veröffentlichten Werke, aber auch der Rechteinhaber (wie Zeitungs- oder Zeitschriftenverlage, die ja die Verwertungsrechte der Urheber als Nutzungsrechte übernommen haben), in Zukunft kaum mehr als Makulatur ist. Darf jetzt beliebig jede Art von Information (auch Musik und Videos, denn warum nur wissenschaftliche Werke?) heruntergeladen, geklaut und verfälscht werden? Und wenn man erwischt wird, reicht es, sich einfach zu entschuldigen – war ja nicht so gemeint?

Wenn es in der Politik keine politischen und rechtlichen Konsequenzen haben soll, wenn wissenschaftliche oder publizistische Werke missbraucht und die Rechte an ihnen mit beträchtlicher Energie vernachlässigt werden, kann man in der Öffentlichkeit nicht mehr erwarten, dass Urheberrechtsregulierungen ernst genommen werden.

(2) Weiter nicht mehr so recht ernst genommen werden kann, dass das Urheberrecht so stark die Rechte der Verwerter (sprich der Verlage) schütze –  nicht zuletzt mit dem Argument, dass sie die Garanten für die Qualität der Publikationen seien. Fraktionsvize Günther Krings von der CDU, der ja immer wieder, gar nicht ironisch, behauptet hat, dass ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht ein wissenschaftsverlagsfreundliches Urheberrecht sei, hatte die Vorwürfe gegen Guttenberg als „lächerlich“ bezeichnet, zumal das Werk in einem “höchst renommierten Wissenschaftsverlag erschienen“ sei, der für seine strengen Maßstäbe bekannt sei. (http://www.mdr.de/nachrichten/8241100.html). Diese Aussage mag er heute bedauern. Die weiter wichtige Rolle der Verlage auch für das wissenschaftliche Publikationswesen soll aber nicht bestritten werden, aber dass sie für die Qualitätssicherung der Inhalte zuständig sein sollen und dass dies ihre kommerzielle Verwertung rechtfertige, wird man ihnen kaum mehr abnehmen. Für diese Verwertung müssen andere (Mehrwert-)Leistungen erbracht sein. Für die Qualitätssicherung selber waren und sind weiter die Wissenschaftler selber zuständig und verantwortlich. Da hat Guttenberg den Schwarzen Peter tückischer Weise, aber auch zu recht Bayreuth zugeschoben.

(3) Die eigentliche Krise ist also in der Wissenschaft selber. Dass in der Öffentlichkeit der Wert einer Promotion nun drastisch abnehmen könnte, muss gar nicht mal bedauert werden. Der Doktortitel von Personen, die gar nicht mehr in der Wissenschaft arbeiten, wird ohnehin nur als zuweilen karrierefördernd oder, wie z.B. bei  Besuchen in Arztpraktiken oder Ämtern, als hilfreich, eine Vorzugsbehandlung sichernd, angesehen. Das mag sich ändern, zumindest in der Politik. Die Leute werden ja nicht als wissenschaftliche Assistenten eingestellt.

Die Universität Bayreuth wird diese Krise nicht alleine lösen können. Es war ja klar, dass sie nicht anders kann, als Guttenbergs Dissertation mit welcher Begründung auch immer (vermutlich einfach „unwissenschaftlich“) nachträglich abzulehnen. Sie wird vermutlich auch nicht die „Betreuer“/Gutachter der Arbeit oder den zuständigen Promotionsausschuss rügen. Fehler passieren halt. Aber wer weiß! Die wissenschaftlichen Gemeinschaften, einschließlich der Wissenschaftssorganisationen wie die DFG, sind aufgefordert, den Status einer Promotion und das Procedere zu überprüfen. Nur einige vorläufige Gedanken dazu (vgl. dazu auch den Eintrag im IUWIS-Blog, und sicherlich ist Einiges davon auch in  vielen Einträgen in vielen Blogs schon ähnlich formuliert und gefordert worden):

a) Promotionen sollten wieder das werden, was sie sein sollten – die Eingangsqualifikation für eine weitere wissenschaftliche Karriere. Natürlich wird man das nicht erzwingen können, aber doch anstreben sollen. D.h. die Anzahl vor allem der externen Promotionen von Leuten, die schon im Berufsleben stehen und gar keine wissenschaftliche Karriere anstreben, sollte drastisch zurückgeschraubt werden.

b) Die für die Promotion zuständigen Institutionen (in der Regel die Promotionsausschüsse) sollten darauf achten, dass die individuelle. laufende Betreuung gewährleistet ist – hunderte oder auch nur dutzende Doktoranden gleichzeitig bei einem Hochschullehrer sollten nicht zugelassen werden.

c) Ebenso sollten die zuständigen Institutionen (nicht nur die Gutachter) mehrfach Gelegenheit bekommen, für den Fortgang eines Promotionsverfahrens grünes Licht zu geben – oder auch nicht.

d) In den wissenschaftlichen Gemeinschaften sollten (vermutlich fachspezifische) klare Verfahrensregeln für die Qualitätssicherung und Kriterien für die Erstellung von Gutachten aufgestellt werden, so wie es z.B. bei der Begutachtung von Drittmittelanträgen schon weitgehend geschieht.

e) Dissertationen sollten grundsätzlich den Gutachtern bzw. den Institutionen auch in den Vorversionen schon in elektronischer Version zugänglich gemacht werden.

f) Plagiatssoftware sollte routinemäßig zum Einsatz kommen – ist wohl auch inzwischen breit akzeptierte Forderung.

g) Eine jede Dissertation soll unmittelbar nach Beendigung des Verfahrens frei zur Benutzung durch jedermann ins Netz gestellt werden. Schon alleine die Antizipation der öffentlichen Zugänglichkeit wird Vorgänge wie bei Guttenberg zwar nicht gänzlich verhindern, aber doch recht unwahrscheinlich werden lassen.

h) Das Vorhaben einer kommerziellen Publikation der Arbeit darf diese Forderung nach freier unmittelbarer öffentlicher Zugänglichkeit nicht beeinträchtigen, d.h. für die kommerzielle Verwertung wissenschaftlicher Arbeiten (und das sollte über Dissertationen hinaus verallgemeinert werden) dürfen keine exklusiven kommerziellen Verwertungsrechte vereinbart werden. Den öffentlichen Einrichtungen sollte ein Zwangslizenzrecht an diesen Werken eingeräumt werden. Auch das wird schon in der Literatur gefordert.

i) Ob für die Realisierung von (h)  eventuell auch Änderungen der Dienstverträge ausreichend sind, wie es Steinhauer in seinem Buch  „Das Recht auf Sichtbarkeit“ schon mal erwogen hat, muss ausgelotet werden.

i) Wissenschaftliche Zeitschriften sollten nur in Ausnahmefällen Rezensionen von Personen vergeben bzw. annehmen, die, wie z.B. Ministerialbeamte oder Rechtsanwälte (so wie bei einigen  Jubelbesprechungen  bei Guttenberg), nachweislich nicht weiter wissenschaftlich arbeiten.

Das sind alles nur sehr vorläufige Gedanken. Bayreuth darf dabei nicht allein gelassen werden. Das alles ist keine Entzauberung der Souveränität der Professoren und erst recht keine Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit und wird auch nicht zu überbordender Verfahrensbürokratie führen. Das meiste von dem Vorgeschlagenen sollte eigentlich selbstverständlich sein. Wenn in Deutschland jedes Jahr ca. 25.000 Promotionen entstehen, dann sind eindeutige Verfahrensregeln, in erster Linie zur Qualitätssicherung, erforderlich. Nach wie vor wird die Qualität der Dissertationen  in erster Linie von der Fähigkeit und Leistung der Doktoranden, zusammen mit der Vorbildfunktion und Betreuung durch die Hochschullehrer, abhängen – aber das Vertrauen darauf alleine reicht offenbar nicht mehr aus.

Das bislang noch als stabil angesehene System zur Produktion von Dissertationen muss überdacht werden, bis hin auch zur Infragestellung von heiligen Kühen, wie dass eine Promotion eine Individualleistung oder dass sie nur ein einzelnes Werk sein muss. So traurig der Fall Guttenberg für die öffentliche und politische Moral auch ist und wie gedemütigt das wissenschaftliche Verfahren der Qualitätssicherung durch den Fall Guttenberg auch wurde – zumindest Letzteres lässt sich durch Verfahren reparieren.

Comments (2)

 

  1. Dr.Simplizisimus sagt:

    Interessanter Artikel, der viele Aspekte berücksichtigt.
    Eines vermisse ich jedoch: dass eine ganze Untergruppe von Dissertationen nicht erwähnt wird – die der medizinischen. Diese dürften den Hauptteil der erwähnten 25000 ausmachen und beinhalten in der Regel keinerlei wissenschaftlichen Wert – was angesichts des zeitlichen Aufwands auch schlecht möglich ist.
    Hier werden akademische Grade zum Aufpolieren des Sozialstatus vergeben …

  2. Name sagt:

    Herr zu Guttenberg ist untragbar für unser Land. Dass er vermutlich mit einem blauen Auge davonkommen wird zeigt dass es in Deutschland JEDERZEIT wieder möglich ist einen Blender als Führer, pardon Kanzler haben zu können.

    Mir macht das herumdeuteln an seinem Betrug jedenfalls Angst.