Gott, Merkel, nun noch ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger – wie kann man die Netzwelt nur so missverstehen!

Die elektronischen Räume können nicht über Partikularinteressen gestaltet werden.

Es ist sicher nichts dagegen einzuwenden, wenn eine Bundeskanzlerin auf dem Jahreskongress des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger auftritt (so am 19.9.2011 in Berlin – die Rede), vermutlich auf Einladung seines Chef-Lobbyisten und Präsidenten Helmut Leinen. Aus Merkels Sicht ist das vermutlich sogar unverzichtbar. Im Vorfeld wird man Frau Merkel wohl geraten haben, den Zeitungsverlegern bei dieser Gelegenheit ihre Sympathie für ein Leistungsschutzrecht für eben deren Produkte zu versichern ( Vgl. Bericht in der der FAZ vom 20.9.2011. S. 39; vgl. auch den Bericht von Meedia und den interessanten Update dazu von IGEL)

Nicht alles, was im Koalitionsvertrag steht, muss umgesetzt werden

Gute Ratgeber scheint sie dabei nicht gehabt zu haben. Zwar stimmt es, dass im Koalitionsvertrag vorgesehen war, „ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage zur Verbesserung des Schutzes von Presseerzeugnissen im Internet“ als neues Recht im Urheberrechtsgesetz zu verankern. Aber hat sich nicht längst herumgesprochen, dass dieses Lobbyrecht von der Öffentlichkeit in die gleiche Schublade gesteckt werden wird, wie zu Beginn der Schwarz-Gelben-Regierung die steuerliche Entlastung für Beherbergungsleistungen von Gastwirten und Hoteliers? Man wird kaum fehlgehen mit der Prognose, dass auch ein Leistungsschutzrecht, sollte es denn je wirklich beschlossen werden, ebenso als empörend, lächerlich, überflüssig und schädlich – kurz: als Fehlleistung, beurteilt werden wird (vgl. dazu den Blogeintrag bei IUWIS vom 16.6.2011).

Warum nicht an die Spitze der Entwicklung in elektronischen Räumen? Warum innovationsfeindlich?

Besonders befremdlich wird es, wenn diese Lobbypolitik zugleich mit der Mahnung der Kanzlerin an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verbunden wird, ihre digitalen Angebote, vor allem die „Tagesschau“-App, zu überprüfen – wohl in der Erwartung, dass von einer Apps Abstand genommen wird, welches die Nachrichten im Web raum- und zeitversetzt jedermann über die Smartphones zur Verfügung stellt.

Anstatt sich innovationsunterstützend auf die vordere Front der Entwicklung im Web zu begeben (und  anstatt sich darüber zu freuen, dass öffentliche Rundfunkanstalten die Potenziale und die Transparenzchancen des Internet kreativ nutzen), unterstützt die Kanzlerin ein rückwärtsgewandtes Leistungsschutzrecht, dass die Verleger letztlich von der Verpflichtung entlastet, selber neue attraktive elektronische Produkte für das Web zu entwickeln.

Denn darum geht es ja den Verlegern: an den (Werbe-)Einnahmen der Internetakteure wie Google mitzuverdienen, die diese auch dadurch erzielen, dass sie auf ihren Suchmaschinen nutzerintensive Treffer zu Seiten der Zeitungen anzeigen. Natürlich könnten die Verleger es den Suchmaschinen einfach und mit Erfolg verbieten, dass deren Roboter die Zeitungsseiten durchkämmen und indexieren. Aber das wollen sie natürlich auch nicht. Denn die Google-Sichtbarkeit ist ja auch die Sichtbarkeit der Zeitungen.

Nichts gegen Geldverdienen, aber alles gegen Beschränkung der Informationsfreiheit oder der Innovationskraft der Wirtschaft

Sollen Gesetzen nun dafür sorgen, dass ohne weitere Mehrwertleistungen abkassiert werden kann? Das Geld mag den Verlegern ja noch gegönnt sein, aber nicht, dass eine Online-Presseabgabe ordnungspolitisch inakzeptabel ist, dass Informationsfreiheit beschränkt wird, dass die Innovationskraft im digitalen Wandel gefährdet wird und dass durch diese willkürliche Besserstellung kein Vorteil für den Urheberschutz entsteht.

Das sind keine Zitate aus dem Programm der Piraten oder meine eigenen Formulierungen. Vielmehr stammen sie aus einer gemeinsamen Erklärung des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI). Unterzeichnet hat das ein Gutteil der Elite der deutschen Industrie. Diese Erklärung schließt: „Wir, die unterzeichnenden Verbände, sprechen uns gegen das Vorhaben der Politik zur Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger aus. Erforderlich ist dagegen eine offene Diskussion über verbesserte Marktbedingungen der Medienwirtschaft, die innovative und zukunftsfähige Geschäftsmodelle in der digitalen Welt vorantreiben und damit auch die Grundlagen für einen unabhängigen Qualitätsjournalismus der Zukunft sichern.“

Gewinnen immer die, die die besseren Lobbyisten haben?

Kann es sein, dass die Politik, z.B. über das Urheberrecht, bequeme, um nicht zu sagen obsolete Geschäftsmodelle einer zwar wichtigen, aber dennoch einer Partikulargruppe am Leben erhält und so nebenbei die Dynamik der technologisch-methodischen Entwicklung behindert. Hätte man nicht Merkel mitteilen können, dass auch schon früher so gut wie alle TeilnehmerInnen (natürlich nicht Herr Heinen) an der am 26.6.2010 vom BMJ veranstalteten Anhörung zum Leistungsschutzrecht sich gegen ein solches ausgesprochen haben? Alle Argumente dagegen finden sich zudem auf der Website von IGEL. Auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags Siegfried Kauder schätzt das Leistungsschutzrecht als politisch bereits halbtot ein. Am 25. Februar 2011 auf Einladung des Providerverbandes Eco wies er den Axel Springer Verlag zurück: “Fühlen Sie sich bitte nicht zu sehr auf der sicheren Seite, nur weil es im Koalitionsvertrag steht.” Es sei nicht so, dass derjenige schon gewonnen habe, der die besseren Lobbyisten ins Feld führe.

Steht das Justizministerium noch hinter dem Leistungsschutzrecht?

Für die Vorlage eines Vorschlags, das Leistungsschutzrecht im Urheberrecht zu verankern, ist ja zunächst das Justizministerium zuständig. Dort tut man sich seit geraumer Zeit schwer (genau seit dem  14. Juni 2010, an dem die Ministerin den Startschuss dafür gegeben hatte – Livestream), den längst fälligen Dritten Korb zur Urheberrechtsreform vorzulegen, der ja mal das Leistungsschutzrecht enthalten sollte. Geht man fehl in der Einschätzung, dass die Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger zu der Einsicht gekommen ist, dass mit einem solchen Leistungsschutzrecht die Urheberrechtsform keine Substanz gewinnen und sich keinesfalls als zukunftsweisend erweisen kann? Oder dass es dabei keinesfalls um Pressefreiheit geht, sondern klar erkennbar um Besitzstandswahrung? Hat man die Kanzlerin von wem auch immer auflaufen lassen?

Was das Urheberrecht wirklich braucht

Das Urheberrecht braucht ganz anderes, als Privilegien zu verteilen, nämlich z.B. die Rechte der Kreativen gegenüber den Verwertungsinteressen Dritter zu stärken, Vorkehrungen zu treffen, dass die Allgemeinheit, einschließlich der Wirtschaft, das publizierte Wissen und das gesamte kulturelle Erbe freizügig und zu fairen Bedingungen besser als bislang nutzen kann. Dazu müsste es vor allem vermeiden, obsolet gewordene Publikations- und Verwertungsmodelle zu vermeiden. Keine Urheberrechtsreform ist durch Interessen von Partikulargruppen gerechtfertigt, wie wichtig deren Wohlwollen auch für die herrschende Politik eingeschätzt wird.

Was passiert der Politik, wenn sie die ökonomische und soziale Sprengkraft des Web nicht sieht?

Nicht Verknappung, nicht der Vorrang der kommerziellen Verwertung von Wissen, kein lediglich auf exklusive individuelle Rechte pochendes Eigentumsverständnis – sondern Transparenz, Offenheit, offene Diskussionen, Nachhaltigkeit, Verantwortung für die Gemeinschaft, Freizügigkeit, Teilen, Innovation – bestimmen den durch das Internet bestimmten Paradigmenwechsel. Sollte Politik dies als bloße ethische Postulate abtun, dann wird nicht zuletzt die aus diesen Werten sich ableitende ökonomische und soziale Sprengkraft dafür sorgen, dass die gegenwärtige politische, auch parteipolitische Landschaft bald ganz anders aussehen wird. Die BürgerInnen werden diese Partikularinteressen begünstigende Politik nicht mehr lange dulden. Die elektronischen Räume sind keine Partikularräume. Ihre Gestaltung geht uns alle an.

Comments (2)

 

  1. [...] Gott, Merkel, nun noch ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger – wie kann man die Net…: Hätte man nicht Merkel mitteilen können, dass auch schon früher so gut wie alle [...]

  2. [...] Netethics: “Die elektronischen Räume können nicht über Partikularinteressen gestaltet werden.” [...]