Spinnen II – zurück zu Gutenberg – kaufen, kaufen, was man nicht braucht – Exzerpte vom Bildschirm machen
Beim 52a-Urteil des Landgericht Stuttgart sollte man nicht locker lassen, es nicht einfach schlucken und auch nicht auf eine höhere Rationalität des BGH hoffen. Ziviler Ungehorsam ist angesagt. Es kann nicht akzeptiert werden, dass auch die Richter, die damals zuständigen Gesetzgeber sowieso, weiterhin ihr Denken und Handeln aus der analogen Welt bestimmen lassen, so also ob es nicht längst selbstverständlich geworden ist, dass es, zumindest beim Umgang mit Wissen und Information, die elektronischen Räume sind, in denen wir alle agieren. Was nicht elektronisch verfügbar ist, hat kaum noch eine Chance wahrgenommen zu werden. Für viele existiert das einfach nicht. Das gilt vor allem auch für die Studierenden, die wieder einmal mehr gezwungen werden sollen, entweder ganze gedruckte Bücher zu kaufen, obgleich nur ein kleiner Teil davon gebraucht wird, oder aber sich handschriftliche Notizen beim Lesen am Computer zu machen.
Nicht PDF, sondern Flash soll die Lösung sein
Zuerst eine Korrektur: Nach dem jetzt veröffentlichten Urteil muss mein letzter Beitrag hier in NETETHICS an einer Stelle korrigiert werden. Ich hatte in satirischer Absicht darauf hingewiesen, dass das Gericht zwar erlaubt, 48 Seiten auszudrucken, dass das aber nicht ginge, weil auf der anderen Seite es ja nur für 3 Seiten erlaubt sein soll, diese herunterzuladen und zu speichern. Wie also aus einem PDF, so meine Unterstellung, ausdrucken, wenn man nicht speichern darf? Aber meine Annahme war falsch. Das Gericht hat, wie es jetzt deutlich wird, Hagen vor allem deshalb verurteilt, weil die Fernuni zwei Semester lang (WS 08/09 und für das SS 09) ihr Angebot von 91, dann 68 Seiten über einen PDF bereitgestellt hatte. Das, so das Gericht, war rechtswidrig. Hagen hätte ein anderes Format wählen müssen, “das im Rahmen des Online-Abrufverfahrens die Einrichtung funktionierender Schutzmechanismen erlaubt, um die Speicherung der Werkteile… auf den Computern der Studenten unmöglich zu machen.” (S. 14 des Urteils)
Hagen hatte in der Tat dann im Herbst 2009 “die Nutzung des Werkes für die Teilnehmer des Semesters “Modul 1″ durch das Programm “FlashPlayer” der Firma Macromedia so um[gestellt], dass ein Abspeichern und in Umlaufbringen des digitalisierten Auszuges unmöglich wurde.” (S. 5 des Urteils) Offenbar zu spät.
Natürlich könnte man jetzt eine langwierige technische Diskussion darüber führen, ob bzw. warum es schon eine Zumutung ist, den Studierenden „Flash“ aufzuzwingen. Oder ob auch hier nicht auch von Speichern die Rede ist. Gestreamte Inhalte werden wohl doch im lokalen Cache und im Flash-Cache gespeichert, wenn auch nach dem Abspielen wieder gelöscht, es sei denn, man verschiebt die Datei vorher woanders hin. Auch das Schreiben in einen flüchtigen Speicher ist Speichern, und mit Können kann man den flüchtigen Speicher in einen dauerhaften verwandeln. Aber praktisch wird das für die meisten NutzerInnen keine Bedeutung haben. Akzeptiere ich also mal die Interpretation des Gerichts, dass Speichern das Ablegen auf einem Trägermedium zum Zweck der Nutzung in anderen Anwendungen bedeutet. Das ist nach dem Urteil nur für 3 Seiten maximal erlaubt. Weitergehendes Drucken (max. 10% des Werkes) ist nur erlaubt, wenn der Anbieter solche softwaretechnische Maßnahmen getroffen hat, die Herunterladen und Abspeichern nicht möglich machen.
Rechte haben die Studierenden, aber die Hochschulen und Bibliotheken werden gezwungen, ihnen diese Rechte vorzuenthalten
Interessant ist aber die Begründung, und hier bleibt es bei dem Satireverdacht. Das im vorherigen NETETHICS-Beitrag angesprochene Paradox aus dem anderen Gerichtsurteil zu § 52b wiederholt sich auch hier:
Das Gericht anerkennt durchaus, dass die Studierenden an sich, und zwar nach § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UrhG, das Recht haben, die zur Verfügung gestellten kleinen Teile des Werkes zu vervielfältigen, also bei sich zu speichern, auszudrucken bzw. Kopien davon zum eigenen Gebrauch zu machen.
Aber aus diesem Recht der Studierenden dürfe die Universität nicht ableiten, dass sie das auch möglich machen dürfe oder gar müsse: “Für die Rechte der Beklagten aus § 52a UrhG ist aber grundsätzlich nicht maßgeblich, ob von den Nutzern der elektronischen Lernplattform angefertigte Vervielfältigungen gemäß § 53 Abs. 2 S1 Nr. 1 UrhG gestattet sind, sondern es ist zu prüfen, ob die Beklagte eine solche Anschlussnutzung überhaupt schaffen durfte” (s. 14).
Zurück zu Gutenberg: Die analoge Welt soll das Vorbild sein – nur ja keine “einfachere und qualitativ höherwertige” Nutzung
Das Landgericht Stuttgart verneint diese Berechtigung, so wie das Landgericht Frankfurt es den Bibliotheken untersagt hatte, Vorkehrungen zu treffen, die es den Studierenden erlauben würde, die ihnen ebenfalls nach § 53 UrhG zustehenden Rechte wahrzunehmen. Das Landgericht Stuttgart hielt jetzt dafür, dass der Gesetzgeber durch § 52a intendiert habe, “eine Nutzung zu ermöglichen, die der analogen Nutzung vergleichbar ist” (15). Die Speicherung auf den Rechnern der Studierenden stelle aber eine “einfachere und qualitativ höherwertige Vervielfältigung als die analoge Nutzung dar” (S. 15 aus dem Urteil), da die Texte dann z.B. direkt in die eigene Textverarbeitung übernommen werden könnten.
Das ist jetzt der Punkt, der die Netzwelt auf die Barrikaden gehen lassen sollte. Wir sollen uns auch im Jahr 2011 beim Umgang mit Wissen und Information so verhalten, wie es ganz offensichtlich die Juristen aus ihrer Ausbildung gewohnt waren. Ich erinnere mich gut an die Antwort auf meine Frage an Frau Zypries, damals zuständig für das Justizministerium und damit entscheidend verantwortlich für Paragraphen wie 52b, ob es denn zeitgemäß sei, sich am Bildschirm handschriftliche Notizen machen zu müssen: „Was wollen Sie denn, ich habe mein ganzes Studium in der Bibliothek gesessen und fleißig exzerpiert. Und Sie sehen ja, was aus mir geworden ist.“
„Einfachere und qualitativ höherwertige“ Nutzungsformen, informationelle Mehrwerte, wie ich sie nenne und wie sie im elektronischen Umfeld möglich sind, sind nicht erwünscht. Elektronisch erlaubt soll nur sein, wenn es nur das erlaubt, was auch im analogen Medium möglich war. So wollte es der Gesetzgeber, und so will es der Großteil der Verlagswirtschaft.
Es kann nicht die Aufgabe des Urheberrechts sein, obsolete Geschäftsmodelle der Verlage zu schützen
Man kann und muss es auch anders ausdrücken: Der Gesetzgeber schützt durch neue Normen des Urheberrechts nicht etwa die AutorInnen (die habe in den letzten beiden Reformen keine neuen Rechte bekommen, ganz im Gegenteil), sondern die aus der analogen Welt stammenden Geschäftsmodelle der Verlage. Der Gesetzgeber schützt damit die Verlage vor der Versuchung, innovative Modelle zu entwickeln. Der Börsenverein spricht zwar das im 52a-Verfahren strittige Buch als „neuartiges Psychologie-Lehrbuch“ an, aber diese Neuartigkeit hätte methodisch auch vor hundert Jahren realisiert werden können. Wo bleiben die genuin elektronischen, flexiblen, offenen, vielfach verlinkten und gezielt nutzbaren „Bücher“?
Die Verlagswirtschaft möge doch bitte den Lernprozess der Musikwirtschaft nachvollziehen. Die Dienste wie das alte Napster wurden nicht zuletzt deshalb attraktiv, weil die NutzerInnen, wenn sie brav kaufen wollten, gezwungen waren, eine ganze CD für 20-30 Euro zu kaufen, auch wenn sie vielleicht nur an einem einzigen Song interessiert waren. Heute gibt es preiswerte Flatrate-Angebote zu Millionen Songs für weit unter 10 Euro/Monat.
36.400 Euro für “kleine Teile” oder der Verkauf von 1.456 Bücher
In der Ausbildung aber sollen Studierende gezwungen werden, das ganze Lehrbuch zu kaufen, obgleich darin für ihre Ausbildung nur die besagten 91, später 68 Seiten relevant waren. Oder aber die anbietende Uni sollte sich einverstanden erklären, so damals das Angebot von Kröner, für jede genutzte Seite und pro NutzerIn 0,10 Euro zu bezahlen. Damit wären für Hagen 36.400 Euro fällig geworden – für die Nutzung “kleiner Teile”. Um diese Summe auf dem „normalen“ Weg einnehmen zu können, hätte Kröner 1.456 Exemplare an Studierende von Hagen verkaufen müssen.
Wirklich? „Bund, Länder und Gemeinden werden [durch das Urheberrecht] nicht mit Kosten belastet.“
War das das anvisierte Geschäftsmodell? Und sind die Träger der Universitäten bereit, deren Haushalte mit den entsprechenden zusätzlichen Mitteln zu versorgen? Bislang steht stereotyp bei den Gesetzesvorlagen zum Urheberrecht „Bund, Länder und Gemeinden werden nicht mit Kosten belastet.“ Dass Studierenden und WissenschaftlerInnen Mehrkosten in Millionenhöhe entstehen, wenn sie auf die analogen Verfahren verwiesen werden, am Bildschirm abzuschreiben und das Geschriebene dann wieder einzutippen, interessiert ohnehin niemanden.
Geht der Rektor für 6 Monate ins Gefängnis?
Was sollen Hochschulen tun, wenn die Mittel zur Nutzung und Vergütung elektronischer Medien nicht ausreichen? Sind dann Organisationen wie Hagen nicht gezwungen, andere Wege zu gehen? Sie werden es sich überlegen – stellte doch das Gericht fest, dass Hagen 250.000.- Euro zu bezahlen habe, wenn es das Urteil nicht beachte. Ersatzweise müsse der Rektor für sechs Monate in Ordnungshaft.
Also wird man auf die Nutzung solcher Werke verzichten müssen. Wird das vielleicht nicht eher der Grund für die Klage des Börsenvereins werden: „Das Lehr- und Fachbuchgeschäft der Wissenschaftsverlage hat sich seit dem Inkrafttreten von § 52a Urheberrechtsgesetz im Jahr 2003 in dramatischer Weise verschlechtert“?
Streichen ja, aber nicht ersatzlos. Erforderlich ist eine allgemeine privilegierte Bildungs- und Wissenschaftsklausel im Urheberecht
Der Börsenverein fordert den Gesetzgeber immer wieder auf, Paragraphen wie 52a oder 52b im Rahmen des Dritten Korbs zu streichen, ersatzlos. Für das Streichen könnte man schon sein, angesichts der Absurditäten, die der Gesetzgeber formuliert hat und die die Gerichte zwingen, satireverdächtige Urteile zu erlassen. Aber nicht ersatzlos. Die Lösung kann im Rahmen des bestehenden Systems nur eine allgemeine privilegierte Bildungs- und Wissenschaftsklausel im Urheberecht sein. Sie soll grundsätzlich die genehmigungsfreie Nutzung urheberrechtsgeschützter Materialien vorsehen und, solange es noch kommerzielle Angebote gibt, eine Vergütung an die Rechteinhaber sicherstellen, die die Hochschulen bzw. die Träger der Hochschulen auch willens und in der Lage sind, zu bezahlen.
Panik in der Politik?
Ob sich etwas in diese Richtung bewegt? Es gibt einige Hinweise darauf, dass angesichts des jüngsten Erfolgs der Piratenpartei in Berlin im Hause des BMBF und des BMJ bis in die Spitze hinein eine Art Panik entsteht (die politische Lage habe sich auch seit dem Erscheinen der Piraten verändert), die, konstruktiv umgedeutet, in der Regierung zu einer stärkeren Beachtung des Wissenschaftsurheberrechts führen könnte. Mal abwarten. Von nichts geschieht nichts. Also nicht locker lassen und im individuell zumutbaren Ausmaß zivilen Ungehorsam selbst gegenüber den Autoritäten der Gerichte praktizieren!
Comments (4)
Ich finde, Wohnen und Essen sind auch im Internetzeitalter noch wichtige Grundbedürfnisse.
Ich finde, jeder Erzeuger essbarer Güter und jeder Eigentümer bewohnbarer Räume sollte deshalb verpflichtet sein, die genehmigungsfreie Nutzung seiner Güter durch alle Wohn- und Essbedürftigen zu dulden.
Hierfür ist eine Vergütung vorzusehen, aber nur eine solche, die die jeweiligen Nutzer auch willens und in der Lage sind, zu bezahlen.
Das Argument des Vorredners trägt nicht der grundlegenden Tatsache Rechnung, daß im Falle einer Wohnung oder einer Mahlzeit es sich um ein ius in rem handelt, der Besitz eines Nutzers also den Besitz anderer Nutzer ausschließt. Würde dies für Immaterialgüter in ähnlicher Weise gelten, wäre während der Lektüre eines Buches jeder weitere Leser von dessen Nutzung ausgeschlossen. Das gilt schon nicht für physische Bücher: Wenn ich ein Buch auf ein Episkop lege, können beliebig viele Nutzer dasselbe Buch zur Kenntnis nehmen, ohne daß es sich um eine urheberrechtlich relevante Verletzung von Verwertungsrechten handeln würde. Das urteilende Gericht ist der Ansicht, daß bei der Zurverfügungstellung von Büchern im digitalen Zeitalter die analogen Restriktionen des Urheberrechts unverändert zu übernehmen sind. Inwiefern das noch zeitgemäß ist, werden weder Richter noch Blogger entscheiden, sondern die Politik. Bis dahin hilft sich die Wissenschaft weiter mit verdecktem oder öffentlichem zivilem Ungehorsam.
Ein interessanter Kommentar zu dem Urteil von RA Stadler mit dem Titel:
“Das Urheberrecht und seine Auslegung treibt seltsame Blüten”. Darin heißt es u.a.:
“Ein neues Urteil des Landgerichts Stuttgart zu § 52a UrhG hat Prof. Rainer Kuhlen dazu veranlasst, zu zivilem Ungehorsam aufzurufen.”
Und am Ende: “An dieser Stelle ist leider nicht wirklich eine Besserung in Sicht, solange die Bürger nicht auf die Barrikaden gehen. Und deshalb ist die Aufregung Kuhlens sehr gut nachvollziehbar. Derartigen gesetzgeberischen Kleinmut kann sich eine Wissens- und Informationsgesellschaft auf Dauer nicht leisten.”
http://www.internet-law.de/2011/10/das-urheberrecht-und-seine-auslegung-treibt-seltsame-bluten.html
In einem IUWIS-Gastkommentar (http://www.iuwis.de/lg_stuttgart_52a) argumentiert Armin Talke, der zu Recht auch positive Aspekte im Urteil sieht, schlüssig (mit dem Rechtsausschuss des Bundestags), dass das Vervielfältigungsverbot des Gerichts mit Blick auf das Erstellen eines PDF wohl kaum Bestand haben dürfte (und wenn man einen PDF sich anschauen kann, wird man ihn auch herunterladen und speichern können/dürfen):
“Der Hinweis auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Dr. 15/837, S.34) ist zwar richtig, muss aber zu einer genau umgekehrten Schlussfolgerung führen. Die Passage dort lautet:
Damit weist der Rechtsausschuss darauf hin, dass die Vervielfältigungshandlungen nach § 53 hier eben „zulässig“ sind und es gar keinen Bedarf gibt, etwa für Vervielfältigungen für wissenschaftliche Zwecke neben § 53 Abs.2 S.2 Nr.1 noch eine Extra-Regelung zu schaffen. Es spricht also nichts dafür, dass die Uni die nach § 53 erlaubten Kopien (i.S.d. Downloads) verhindern muss. Ganz im Gegenteil.”
Die Karten von Hagen bei einer Revision sollten nicht schlecht sein.
[...] Kuhlen stellt das Urteil unter Satireverdacht: Das Gericht anerkennt durchaus, dass die Studierenden an sich, und zwar nach [...]