Geistiges Eigentum geht auch Bildung und Wissenschaft an – aber der Welttag des geistigen Eigentums muss anders als bislang begangen werden

Zusammenfassung: Das Urheberrecht sollte sich von dem naturrechtlichen Mythos des geistigen Eigentums befreien. Die kommerzielle Verwertung von Wissen und Information hat mit geistigem Eigentum nichts zu tun und muss keineswegs über das Urheberrecht geschützt werden. Die Rahmenbedingungen für KünstlerInnen sind ganz andere als für die in Bildung und Wissenschaft kreativ Tätigen. Die Einheit des Urheberrechts sollte entsprechend aufgegeben. Ein spezielles Bildungs- und Wissenschaftsurheberrecht ist erforderlich. Als Urheberrechtsschutz für die in öffentlichen Umgebungen Arbeitenden reichen die Persönlichkeitsrechte aus. Eine kommerzielle Verwertung des mit öffentlichen Mitteln erstellten Wissens ist nur dann erlaubt, wenn der freie Zugang zu diesem für jedermann ohne Einschränkung garantiert ist. Die Sicherung der kommerziellen Verwertung hat mit dem Urheberrecht nichts zu tun. Auch für die Verlagswirtschaft zeichnet sich ab, dass Open Access die allgemeine Norm auf den Wissenschaftsmärkten sein wird. Dadurch ist auch eine Umverteilung der bislang für Informationsinfrastrukturen wie Bibliotheken vorgesehenen Mittel teilweise zugunsten der Finanzierung elektronischer offener Produktions- und Nutzungsmodelle wahrscheinlich.


Der 26. April ist auch 2012 der Welttag des geistigen Eigentums. Geschützt sind als geistiges Eigentum in erster Linie nicht-materielle Werke jeder Art, und zwar durch das Urheberrecht, und Erfindungen durch das Patentrecht. An diesem Tag melden sich  Informationswirtschaft (Verlage), die Industrie- und Kulturverbände, aber auch die Politik, um einen starke Schutz des geistigen Eigentums als Grundlage jeder kreativen Tätigkeit und damit als unabdingbar für wirtschaftlichen Wachstum und soziale und kulturelle Entwicklung zu reklamieren.

Der Welttag des geistigen Eigentums darf ein guter Grund zum Feiern sein, wenn dieser der Anerkennung der persönlichen geistigen Leistung dient. Dies gehört zweifellos zu den bedeutenden Errungenschaften moderner Gesellschaften. Aber heute, 2012, scheint es eher an der Zeit zu sein, geistiges Eigentum und den Sinn bzw. das Ausmaß seiner Regulierung nicht einfach quasi als Naturgesetz anzusehen, sondern sich darüber einige Gedanken zu machen. Vor allem sich auch darüber Gedanken zu machen, in welchem Ausmaß und von wem die als geistiges Eigentum reklamierten Werke kommerziell genutzt werden dürfen.

Um es nicht zu komplizieren, beschränke ich mich hier auf das Urheberrecht, obgleich ein starkes und lang andauerndes Patentrecht vielleicht noch größere soziale und ökonomische Folgen hat  – man denke nur an die Patente im Bereiche der Medizin und der Life Sciences insgesamt.

Mir geht es in diesem Beitrag um viererlei, wobei ich später detaillierter nur auf Punkt 4 eingehe:

(1)   Ob es so etwas wie geistiges Eigentum überhaupt geben kann, sei dahingestellt. Das ist nicht mein zentraler Punkt hier. Bemerkenswert aber, dass es in der Rechtswissenschaft bis heute keine überzeugende systematische Begründung für das Konstrukt „geistiges Eigentum“ gibt. Geistiges Eigentum ist offensichtlich etwas sehr weitgehend anderes als „Eigentum“ an sich.  Sehr einleuchtend daher, dass das fachlich zuständige Münchener Max-Planck-Institut seit Anfang 2011 sich in zwei Bereiche aufgeteilt hat und  die Bezeichnung „Geistiges Eigentum“ nicht mehr im Namen führt, sondern für den hier einschlägigen Teil den Titel Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht gewählt hat (mit den Direktoren Josef Drexl und Reto M. Hilty). Das sollte auch zur Entmystifizierung des geistigen Eigentums beitragen. Wie auch immer ─ geistiges Eigentum ist aber zweifellos und in Übereinstimmung mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, und anders als immer von den oben erwähnten Institutionen behauptet, kein absolutes abstraktes Recht, sondern muss in seiner Reichweite bzw. in der Festlegung der damit verbundenen Rechte oder auch ihrer Einschränkungen durch positive Gesetze (wie eben das Urheberrecht) bei sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer wieder neu bestimmt (natürlich nie ganz abgeschafft) werden . Mit der naturrechtlichen Mystifizierung von geistigen Eigentum, welches aber sehr praktisch für die ideologische Rechtfertigung von Verwertungsinteressen ist, sollte über eine etwas andere Interpretation dieses Welttags aufgehört werden.

(2)   Dass der Umgang mit „geistigem Eigentum“ reguliert werden muss und nicht einfach Marktmechanismen überlassen bleiben kann, dürfte klar sein. Bezweifelt werden darf, ob die Regulierung des geistiges Eigentums (hier durch das Urheberrecht) so weitgehend geschehen muss, wie es heute der Fall ist. Noch mehr kann bezweifelt werden, ob der Anspruch auf Schutz der kommerziellen Verwertung der daraus erstellten Werke überhaupt im Urheberrecht geregelt werden muss (nicht umsonst führt das MPI ja jetzt „Wettbewerbsrecht“ im Namen). Nicht zuletzt  kann bezweifelt werden, ob das Urheberrecht so einheitlich sein muss, wie es heute als historische Errungenschaft der Rechtswissenschaft und –politik angesehen wird. Der Regelungsbedarf auf den Unterhaltungs- oder Kulturmärkten ist zweifellos ein anderer als auf den privaten Publikumsmärkten oder in Bildung und Wissenschaften. Letzeres führt zum dritten Problembereich.

(3)   Die öffentliche Diskussion über geistiges Eigentum wird überwiegend mit Blick auf die KünstlerInnen (welche in der Regel mit den Kulturschaffenden gleichgesetzt werden) geführt. Dass Künstler einen Anspruch darauf haben, für die Nutzung ihrer erstellten Werke eine angemessene Vergütung zu erhalten, findet allgemeine Zustimmung und soll hier nicht weiter problematisiert werden. Vielleicht nur der hier bei NETETHICS weiter ausgeführte Hinweis, dass heute Künstler stärker als je zuvor, die Vermarktung ihrer Produkte selber in die Hand nehmen könnten oder dass heute auch andere Vergütungsformen in elektronischen Umgebungen möglich werden (Beispiel Kultur-Flatrate) als über vertragliche Vereinbarungen mit den traditionellen Verlagen oder über die verschiedenen Verwertungsgesellschaften. Aber das ist wohl weiter ihre Entscheidung. Aber ob sie dafür den Schutz des Urheberrechts verlangen können sollen?

(4)   Natürlich, und das wird oft genug übersehen (so auch von der Bundeskanzlerin bei ihrer Rede zum Welttag 2008), sind auch die in Bildung und Wissenschaft Tätigen kreative Kulturschaffende. Mein Punkt ist hier, dass die Rahmenbedingungen, welche die Regulierungsanstrengungen für geistiges Eigentum beeinflussen, grundsätzlich andere sind als bei den Kreativen der Kunst. Daher sollte es unbedingt ein eigenes Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft geben. Darauf gehe ich für den Rest dieses Beitrags etwas näher ein.

Ich  beziehe mich im Folgenden in erster Linie auf Bildung und Wissenschaft in öffentlicher Umgebung, nicht in der Wirtschaft – obgleich, ganz verschieden ist das auch nicht. Wissenschaftsfreiheit sollte auch in privaten Umgebungen gelten.

a)      Ganz als bei auf „eigene Rechnung“ arbeitenden KünstlerInnen, trägt die Öffentlichkeit hier in hohem Maße dazu bei, dass Werke und Ausbildungsleistungen überhaupt geschaffen werden können, bis zu hin zu eher trivial anmutenden Regelungen, dass eigene Aufwendungen dafür auch von der individuellen Steuer abgesetzt werden können. Aber gemeint ist natürlich die über das Gehalt schon geschehene Alimentierung der Leistungen sowie die Bereitstellung einer umfänglichen institutionellen, personellen und technischen, informationellen Infrastruktur, in den letzten Jahren immer mehr auch für die Drittmittelfinanzierung. Die erbrachte Leistung, so sehr sie von der Kreativität und Energie der einzelnen Personen abhängt, sollte vor allem mit Blick auf eine (kommerzielle) Verwertung nicht alleine individuell zugerechnet werden. Das ist mit Blick auf das Patentrecht entsprechend  geregelt. Nicht der Wissenschaftler, sondern die ihn tragenden Institution haben zunächst das Recht zur Patentierung an einer Erfindung.

b)      Sicher ist  auch Kunst immer in den Zusammenhang vergangener Kulturleistungen eingebettet, aber für Bildung und Wissenschaft ist das grundlegend. Jeder Autor hier ist immer auch Nutzer von schon publiziertem Wissen. Und jeder Wissenschaftler erwartet auch, dass dieses Wissen ihm kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Dafür, bislang über die Bibliotheken, aber auch über Fachinformationseinrichtungen und Dokumentlieferdienste, gibt die Öffentlichkeit jedes Jahr Milliardenbeträge aus. Sollte es nicht im Interesse der Wissenschaftler liegen, eine Symmetrie zwischen der eigenen Nutzung der Werke Anderer und der freien Nutzung des eigenes Werks bzw. des Verzichts auf zusätzliche Einnahmen aus dessen kommerziellen Verwertung anzustreben. Ich halte es nicht für angebracht, bei wissenschaftlichen Leistungen von Eigentum zu spreche. Es reicht m.E. aus, das Recht der Anerkennung der Leistungen so stark wie möglich zu machen. Die reputative Anerkennung ist die treibende Kraft für wissenschaftliche Tätigkeit. Wenn doch von Eigentum die Rede sein soll, dann müsste hier Art. 14, Absatz 2 besonders zum Tragen kommen: „Eigentum verpflichtet“. Jeder Wissenschaftler (wie gesagt in öffentlichen Umgebungen) sollte sich verpflichtet fühlen, keine exklusiven Verträge über die Nutzung seiner Werke abzuschließen, wie es heute i.d.R. noch der Fall ist. Und sie sollten sich verpflichtet fühlen, ihr dann gegebenes Zweitverwertungsrecht zugunsten einer freien Verfügbarkeit im Sinne des Open-Access-Paradigmas zu verwenden.

Es spricht nichts dagegen, dass Verlage auf den Wissenschaftsmärkten weiter tätig bleiben. Aber mit geistigem Eigentum oder dem Recht auf Schutz dieses Eigentums hat dies nichts zu tun. Werke produzieren Urheber, die Wirtschaft sorgt dafür, dass sie auf den Märkten sichtbar werden und genutzt werden können. Das ist eine wichtige und anzuerkennende Leistung. Möglich wird sie aber nur dadurch, dass Urheber per Vertrag die ihnen exklusiv zustehenden Verwertungsrechte als exklusive Nutzungsrechte an die Informationswirtschaft, Verlage, abtreten. Sogar in der Regel mit der Konsequenz, dass sie selber gar nicht ihre Werke auf eigene Faust weiter sekundär verwerten können. Das sollte nicht länger möglich sein.

Wenn Wissenschaftler sich nicht zu einer Einschränkung ihrer Vertragsfreiheit bzw. nicht für eine freie Zugänglichkeit zu ihren Werken verpflichtet fühlen, sollte hier die staatliche Regulierung eingreifen. Wenn es nicht gewollt sein soll, dass der Welttag des geistigen Eigentums im Grunde als Welttag der Vertragsfreiheit oder als Welttags eines umfassenden Handelsrecht gefeiert wird, dann muss etwas geschehen. Das wird ein langer und komplizierter Prozess. Die Grundzüge bzw. die Ziele, die erreicht werden sollten, liegen aber auf der Hand.

(i)                 Um das fundamentale Interesse der in Bildung und Wissenschaft Tätigen zu wahren, reichen die auch schon im jetzigen Urheberrecht verankerten Persönlichkeitsrechte aus. Im Wesentlichen: Recht auf Anerkennung der Autorschaft, Recht auf Veröffentlichen, Recht des Schutz vor Verfälschung des Werks.

(ii)               Eine kommerzielle Verwertung der Werke ist nur möglich, wenn der freie (gemeint ist auch „gebührenfreie“) Zugang zu dem mit öffentlichen Mitteln produzierten Wissen garantiert ist. Es kann nicht, wie bislang, die Aufgabe des Gesetzgebers sein, die bisherigen, aus dem analogen Umfeld stammenden Organisations- und Geschäftsmodelle der Verlagswirtschaft zu finanzieren. Es ist die Herausforderung an die Informationswirtschaft, entsprechende Modelle zu entwickeln. Wenn ihnen das nicht möglich sein sollte, wird die lange Tradition kommerziellen Publizierens zu einem Ende kommen. Aber dazu muss es nicht kommen. Genauso wie die Öffentlichkeit die informationelle Absicherung von Bildung und Wissenschaft über die Bibliotheken finanziert hat, so kann sie es heute für das elektronische Publizieren tun, das kein Vorhalten in vielen Speichern mehr nötig macht.

(iii)             Die vielen Schrankenbestimmungen, die ja dafür gedacht sind, die Nutzung publizierter Materialien auch im elektronischen Medium zu ermöglichen, die aber tatsächlich durch die vielen Einschränkungen dieser Bestimmungen, welche die Verlagswirtschaft erfolgreich gegenüber der  Politik durchgesetzt hat, unbrauchbar sind, sind dann überflüssig. Das mit öffentlichen Mitteln produzierte Mittel ist frei nutzbar. Wer sich dennoch eher an den (Parallel-)Produkten der Verlagswirtschaft orientieren will und darin Mehrwerteffekte sieht, kann das natürlich tun und wird dann dafür bezahlen müssen. Das muss aber nicht mehr über das Urheberrecht geregelt werden.

(iv)              Ein Wissenschaftsurheberrecht kann sehr einfach werden: Im Grunde reichte die Garantie der Persönlichkeitsrechte aus, und als Nutzungsklausel reichte aus, was ja auch schon im European Copyright Code der Wittem-Gruppe formuliert: die Nutzung publizierten Wissens ist in Bildung und Wissenschaft ohne weitere Einschränkung genehmigungsfrei. Diese letzere Regelung wird dann überflüssig sein, wenn, wie zu erwarten, die Open-Access-Publikation die Norm in Bildung und Wissenschaft sein wird.

Ein langer Weg ­─ aber der Welttag des geistigen Eigentums wird nur dann noch weiter Sinn machen, wenn er, zumindest für Bildung und Wissenschaft, den Weg zur freien Nutzung von Wissen und Information öffnet. Das dürfte, in welcher Form  auch immer, auch  Auswirkungen auf die anderen Publikationsmärkte haben.